Weniger INVG-Fahrgäste

Erlös-Ausfälle bei der Ingolstädter Verkehrsgesellschaft

VGI-Tarif und 365-Euro-Ticket sind ebenfalls Themen im Aufsichtsrat
VGI-Tarif und 365-Euro-Ticket sind ebenfalls Themen im Aufsichtsrat

Die Corona-Pandemie hat zu einem Rückgang der Fahrgäste bei der INVG geführt. Im Aufsichtsrat stehen jetzt die Erlös-Ausfälle zur Debatte.

Der Aufsichtsrat der Ingolstädter Verkehrsgesellschaft beschäftigt sich jetzt unter anderem mit dem Bericht des Geschäftsführers Dr. Robert Frank.

Allgemeine Situation INVG

In der vergangenen kommunalen Legislaturperiode 2014-2020 konnten für den lokalen und regionalen ÖPNV wichtige Verbesserungen erzielt werden. Das Fahrplanangebot wurde durch die Einführung neuer Linien wie 22 und 14, mit der Durchfahrung des Audi-Werks durch nunmehr 6 Linien, Taktverbesserungen auf einigen Linien und mit mehr Fahrten auf den Nachtlinien systematisch erweitert. Nach langen Jahren des Verhandelns und Planens konnte in zwei Stufen der regionale Gemeinschaftstarif in Ingolstadt und in den drei Nachbar-Landkreisen Eichstätt, Neuburg-Schrobenhausen und Pfaffenhofen a. d. Ilm etabliert werden. In 2014 gelang zunächst die vertragliche Einigung mit den drei Eisenbahnverkehrsunternehmen, zum 01.09.2018 folgte die vollständige Integration aller regionalen Busunternehmen in den VGI-Tarif. Für die Fahrgäste ist somit nun die Nutzung aller Nahverkehrsmittel in der Region 10 mit einem VGI-Fahrschein möglich. Mit Einführung des VGI-Tarifs zum 1. September 2018 ist die Tarifhoheit auf den Zweckverband Verkehrsgemeinschaft Region Ingolstadt (VGI), übergegangen.

In den letzten Jahren wurde zudem die Digitalisierung im ÖPNV vorangetrieben – die Inbetriebnahme der INVG-Leitstelle am Nordbahnhof und die Ausrüstung von nunmehr 230 Bussen mit standardisierten Navigationsgeräten ist die technische Grundlage für Echtzeitinformation an aktuell 24 Haltestellen mit 84 Anzeigern. Das INVG-Handyticket folgte in 2018 und baut ebenfalls auf diesem Standard auf. Die wichtigste Infrastruktur-Maßnahme war die Errichtung des Bahnhofs Ingolstadt Audi, der nun seit Dezember 2019 in Betrieb ist und das Potenzial besitzt, nachhaltig Fahrgäste vom Individualverkehr für das System Bahn und Bus zu gewinnen.

Der sich seit 2018 beschleunigende gesellschaftliche Wandel zu mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit führte zu großen Erwartungen an den ÖPNV, eine Verkehrswende einzuleiten. Der Aufsichtsrat beschloss daher die Durchführung eines strategischen ÖPNV-Seminars, um die Grundlagen für den weiteren Ausbau des ÖPNV in Ingolstadt auf ein breites konsensuales Fundament zu stellen. Das bundesweit renommierte Büro civity Management Consultants führte am 11. Oktober 2019 einen Workshop durch, an dem neben dem Aufsichtsrat und der Geschäftsführung auch leitende Mitarbeiter der INVG, Mitglieder des INVG-Fahrgastbeirats und Vertreter der Stadt Ingolstadt teilnahmen. In Auswertung der wesentlichen Erkenntnisse aus dem ÖPNV-Workshop wurde im Aufsichtsrat im Dezember 2019 und im Stadtrat am 06. Februar 2020 ein umfangreiches Maßnahmenpaket zur Attraktivierung des ÖPNV unter dem Namen „ÖPNV-Initiative 2020 Plus“ beschlossen. Kernelemente dieses Pakets sind die Ausweitung des Takt- und Linienangebots, die Entwicklung der VGI zu einem Vollverbund, die Einführung von digitalen Bedarfsverkehren/on-demand sowie die Modernisierung der Fahrzeugflotte der SBI.

Auswirkungen der Corona-Virus-Pandemie

Mitten in die geplante größte Ausweitung und Verbesserung des Ingolstädter ÖPNV seit Bestehen der INVG kam Mitte März 2020 die Corona-Virus Pandemie zum Ausbruch. Die mittel- und langfristigen Konsequenzen können noch nicht abgeschätzt werden, die kurzfristigen sind bereits dramatisch: Aufgrund der Vorgaben der Bay. Staatsregierung zur Eindämmung der Pandemie wurde das Fahrplanangebot für 6 Wochen zurückgefahren, der Vordereinstieg gesperrt und der Fahrerverkauf untersagt. Seit dem 27. April 2020 gilt zudem für alle Fahrgäste im ÖPNV eine Plicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, die mit 150,00 EUR Bußgeld bewehrt ist.

Trotz der Einführung der Pflicht zur Mund-Nasen-Bedeckung erwartet das bayerische Verkehrsministerium ein Einhalten des Abstandsgebots soweit dies im ÖPNV während der Hauptverkehrszeit möglich ist. Es wird erwartet, dass in den nächsten Wochen mit einem Hochlaufen des Schulbetriebs erhebliche Änderungen an den Schulzeiten erfolgen, um die Fahrgastströme im ÖPNV zu entzerren. Aktuell gibt es seitens mehrerer Arbeitgeber die Empfehlung an die Mitarbeiter, den ÖPNV wenn möglich zur Senkung einer Infektionsgefahr zu meiden. Dies erschwert den Erhalt und die Gewinnung von Fahrgästen für den ÖPNV gerade im Segment der Zeitkarten erheblich.

Die vorgenannten Faktoren führten in Summe zu einem Fahrgastrückgang zwischen 80-90%, ohne dass die Betriebskosten signifikant reduziert werden konnten. Diese Situation ist für den gesamten deutschen bzw. europäischen ÖPNV eingetreten. Auf ein Jahr betrachtet werden unter den aktuellen Umständen im VGI-Tarifgebiet voraussichtlich Erlös-Ausfälle in Höhe von ca. 10,7 Mio. EUR entstehen, für das Gebiet der Stadt Ingolstadt droht ein Ausfall in Höhe von bis zu ca.7,0 Mio. EUR, mit einem wahrscheinlich entsprechenden Anstieg des INVG-Defizits.

Vom Freistaat Bayern und vom Bund kommen derzeit unterschiedliche Signale über finanzielle Förderungen für den ÖPNV als Branche. Zum einen stehen die bisherigen Landesförderprogramme zum Ausbau des ÖPNV vor Corona auf dem Prüfstand, zum anderen verhandeln die Branchenverbände Verband Deutscher Verkehrsunternehmen/VDV und Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmen/BDO sowohl mit der Bundesregierung, als auch mit den Ländern derzeit Finanzhilfen für den ÖPNV. Aufgrund des Erliegens des gesamten Reise- und Gelegenheitsverkehrs droht bei vielen privaten Omnibusunternehmen eine Pleitewelle, die den ÖPNV zusätzlich treffen würde.

Empfehlung zum weiteren Vorgehen: Die Geschäftsführung sieht es als vordringlich an, in den nächsten Monaten den ÖPNV bei weiterhin schwierigen Rahmenbedingungen zu stabilisieren und die Kunden soweit wie möglich für den ÖPNV zu erhalten, bzw. wieder zurück zu gewinnen. Die innerbetrieblichen Abläufe müssen zudem auf eine zweite Infektionswelle vorbereitet sein, um wie im vergangenen März ein ausreichendes Grundangebot im ÖPNV als systemrelevante Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Die operative Bewältigung der Corona-Virus-Pandemie stellt alle Mitarbeiter in den ÖPNV-Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen.

Die Geschäftsführung schlägt daher folgende Eckpunkte zur Bewältigung der Corona-Virus-Pandemie vor:

  • Stabilisierung des ÖPNV unter den aktuellen Rahmenbedingungen, begleitend ein intensiviertes Marketingkonzept zur Kundenansprache Stufenweise Rückkehr zum Normalbetrieb unter Beibehaltung der Notfall-Planungen im Falle eines erneuten Pandemie-Ausbruchs
  • Klärung der Fördermöglichkeiten der Maßnahmen aus der ÖPNV-Initiative 2020 Plus
  • Bewerbung um das Klima-Förderprogramm des BMVI als „Modellregion ÖPNV“
  • Keine VGI-Tariferhöhung in 2020, siehe TOP 2
  • Weitere Umsetzung der Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität im ÖPNV, insbesondere Ausbau Echtzeitinformation und VGI-weite Digitalisierung sowie Modernisierung der Busflotte SBI
  • Verschiebung der Fahrplanmaßnahmen auf 2021 nach Bewältigung der Corona-Virus-Krise und nach Klärung der Fördermöglichkeiten

Zusammenfassend erachtet die Geschäftsführung die Eckpunkte für geeignet, den Ingolstädter ÖPNV bestmöglich durch die aktuelle Krise zu manövrieren und zeitlich gestaffelt alle Maßnahmen aus der ÖPNV-Initiative 2020 Plus konsequent umzusetzen.

VGI-Tarif

In einem Antrag stehen zudem der VGI-Tarif und das 365-Euro-Ticket zur Debatte. Mit Einführung des VGI-Tarifs zum 1. September 2018 ist die Tarifhoheit auf den Zweckverband Verkehrsgemeinschaft Region Ingolstadt, VGI, übergegangen. Die VGI-Zweckverbandsversammlung hat die Zuständigkeit, den VGI-Tarif festzulegen. Entscheidend für die Akzeptanz des VGI-Tarifs durch die Verkehrsunternehmen ist die Auskömmlichkeit des Tarifs. Die Verkehrsunternehmen betreiben den Großteil der Linienverkehre im Geltungsbereich des VGI-Tarifs eigenwirtschaftlich. Hierfür ist es erforderlich, dass der VGI-Tarif entsprechend der spezifischen Kostenentwicklung im ÖPNV angepasst wird. Dies wurde in der Kooperationsvereinbarung mit den Verkehrsunternehmen festgeschrieben.

Die spezifische Kostenentwicklung des ÖPNV wird durch einen repräsentativen Warenkorb ermittelt und sodann als Index fortgeführt. Im Wesentlichen umfasst der Warenkorb die relevanten Entwicklungen aller Sach- und Personalkosten, wobei auf objektive Datengrundlagen wie Tarifabschlüsse oder Einkaufspreise für Dieselkraftstoff seitens des Statistischen Bundesamts Bezug genommen wird. Hinzu kommen Zu- und Abschläge für Mehr- und Mindereinnahmen im Zusammenhang mit Gewährung von Ausgleichsleistungen für sozial ermäßigte Tarife gemäß § 45 a PBefG (Ausbildungsverkehr) und § 231, Abs. 4 SGB IX (Schwerbehindertenausgleich).

In den Vorberatungen zur Fortschreibung des VGI-Tarifs im Arbeitskreis der Aufgabenträger am 5. März 2020 wurde die Tarifanpassung eingehend diskutiert. Hierbei fand auch Berücksichtigung, dass in den bayerischen Nachbarverbünden MVV, VGN und RVV für das Jahr 2020 keine Tariferhöhung beabsichtigt wird. Unter diesem Eindruck kam man überein, dass eine VGI-Tarifanpassung in 2020 zu hinterfragen ist. Im Nachgang zu dieser Sitzung wurde sodann von den Landkreisen Eichstätt, Neuburg-Schrobenhausen und Pfaffenhofen a.d. Ilm signalisiert, dass die dortigen politischen Entscheidungsträger eine „Nullrunde“ beabsichtigen. Nach Einschätzung der Geschäftsführung wäre eine Tariferhöhung zudem mit Blick auf die aktuelle Corona-Virus Krise für die Fahrgäste im ÖPNV schwer vermittelbar.

Die rechtliche Voraussetzung für ein Aussetzen der Tariferhöhung ist eine Änderung der bestehenden „allgemeinen Vorschrift/aV“ und der Einnahmenaufteilungsrichtlinie (EAR) durch den Zweckverband Verkehrsgemeinschaft Region Ingolstadt dahingehend, dass die Omnibusverkehrsunternehmen einen Ausgleich für die fehlenden Einnahmen erhalten. Für das gesamte VGI-Tarifgebiet bedeutet dies ein Betrag von ca. 825 TEUR, der anteilig von den Gebietskörperschaften als Aufgabenträger zu tragen ist. Für die Stadt Ingolstadt und die INVG fallen bis zu 400 TEUR an.

Dieser maximale Betrag wird jedoch durch den Mechanismus der Berechnung des Ausgleichsanspruchs teilweise gekürzt, um das reduzierte unternehmerische Risiko der Verkehrsunternehmen bei unveränderten Tarifen für die Fahrgäste abzubilden. Des Weiteren könnte der Ausgleichsbetrag zu 50% durch den Freistaat Bayern getragen werden, sofern die Tarifmaßnahme als förderwürdig durch den sog. Mobilitätsfonds gilt. Die Geschäftsführung wird hierzu alle in Betracht kommenden Maßnahmen ergreifen.

Die Arbeiten an der Neufassung der allgemeinen Vorschrift wurden unmittelbar aufgenommen, um in der nächsten Zweckverbandsversammlung VGI voraussichtlich im Mai oder Juni 2020 die entsprechenden Beschlüsse rechtsverbindlich fassen zu können. Während der VGI-Ausschuss eine Tariferhöhung zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Unternehmen bevorzugt, hat der VGI-Rat als Beratungsorgan der Zweckverbandsversammlung am 13. März 2020 dieser o.g. Vorgehensweise grundsätzlich zugestimmt.

 365 – Euro – Ticket

Seitens der Bayerischen Staatsregierung wird angestrebt, für Schüler, Auszubildende, Beamtenanwärter, Teilnehmer am Freiwilligen Soziale Jahr, am Freiwilligen Ökologischen Jahr sowie Bundesfreiwilligendienstleistende das sogenannte 365-Euro-Ticket als zusätzliches Tarifangebot in den Bayerischen Verkehrsverbünden anzubieten. Dieses Ticket wird ausschließlich als Jahresticket mit verbundweiter Gültigkeit angeboten. Der Freistaat Bayern übernimmt zwei Drittel der Mindereinnahmen, die beteiligten Aufgabenträger haben ein Drittel zu tragen. Der Freistaat Bayern strebt an, das 365-Euro-Ticket zum ehestmöglichen Zeitpunkt zum Beginn des nächsten Schuljahres (1. August 2020) einzuführen. Eine spätere Umsetzung ist aber möglich.

Zwischen INVG und Bayerischem Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr (StMB) wurde die Vorgehensweise bereits mehrfach besprochen. Bei Einführung des 365-Euro-Tickets wird bei der Kalkulation der Mindereinnahmen von voraussichtlich verbundweit mit 7,8 Mio. Euro für das gesamte VGI-Tarifgebiet ausgegangen. Für die INVG wird mit einem zusätzlichen Defizit in Höhe von ca. 900 TEUR gerechnet, eventuelle Einsparungen beim Schulaufwandsträger müssen noch gegengerechnet werden. Ursprünglich war vorgesehen, die politischen Entscheidungen in der Zweckverbandsversammlung am 31. März 2020 zu treffen, was aufgrund der Corona-Pandemie nicht mehr möglich war.

Derzeit ist davon auszugehen, dass die notwendigen Beschlüsse erst ab Juni 2020 getroffen werden können. Aufgrund der organisatorischen Vorlaufzeiten und personellen Kapazitäten ist eine Einführung zum 1. August 2020 im VGI-Verbund nicht mehr möglich. Seitens der Geschäftsführung wird deshalb angestrebt, nach Vorliegen der politischen und finanziellen Beschlüsse im INVG-Aufsichtsrat, in den Kreistagen der Landkreise der Region Ingolstadt und in der VGI-Zweckverbandsversammlung die Einführung des 365-Euro-Tickets spätestens zum 1. August 2021 vorzunehmen. Für die Einführung des 365-Euro-Tickets ist ebenfalls die Anpassung der allgemeinen Vorschrift notwendig und wird in der oben beschriebenen Novellierung mit eingearbeitet.

 

Foto: INVG