Der Wohnimmobilienmarkt in Deutschland zeigt sich unbeeindruckt von der Corona-Pandemie, so das Herbstgutachten 2020. Allerdings gibt es einige Herausforderungen.
Die Innenstädte in Deutschland sind infolge der Corona-Krise in großer Gefahr, ihre Attraktivität zu verlieren. Förderkonzepte müssen in Zukunft viel treffsicherer sein. Krisengewinner, wie beispielsweise der Onlinehandel, sollten nicht unnötigerweise subventioniert werden. Trotz aller politischer Maßnahmen sind viele Unternehmen nachhaltig in ihrer Existenz bedroht. Das betrifft den stationären Einzelhandel in den Innenstädten ebenso wie die Hotellerie. Dies sind Ergebnisse aus dem Herbstgutachten 2020 des Rates der Immobilienweisen, der im Auftrag des Zentralen Immobilien Ausschusses ZIA, Spitzenverband der Immobilienwirtschaft, die Auswirkungen der Corona-Krise auf die verschiedenen Nutzungsarten untersucht hat. immonews.IN, der Nachrichtendienst für Immobilienpreise und Mieten im Großraum Ingolstadt, dokumentiert eine Pressemitteilung.
„Die Lebendigkeit der Innenstädte ist bedroht – es sind die wegbrechenden kleinen Einzelnutzer in Fußgängerzonen und Handelszentren, die fehlen werden“, sagt demnach ZIA-Präsident Dr. Andreas Mattner. „Wenn wir hier jetzt nicht gegensteuern, fährt der stationäre Einzelhandel gegen die Wand. Bereits zum heutigen Zeitpunkt zeichnet sich ab: es wird Zahnlücken in den deutschen Fußgängerzonen und Handelszentren geben – das ganze Ausmaß werden wir erst im Laufe des kommenden Jahres spüren. Wir müssen ergebnisoffen über neue Wege und Konzepte der Innenstadtgestaltung und Immobiliennutzung nachdenken. Es ist gemeinsame Aufgabe aller Akteure der Stadtgesellschaft, die Lücken zu füllen – wie etwa beim Konzept des Business Improvment District.“ Michael Gerling, Geschäftsführer des EHI Retail Institute und Autor des Einzelhandelsimmobilienkapitels, ergänzt: „Während die Nahversorgungsstandorte florieren, müssen zur Rettung selbst der Innenstädte Veränderungen durch schnellere und pragmatischere Genehmigungsverfahren für den Umbau möglich werden.“
Gesamtwirtschaftliche Entwicklung
Einem guten Start in das Jahr 2020 zum Trotz wurde die deutsche Volkswirtschaft durch die Corona-Pandemie und die seit Mitte März erfolgten Einschränkungen zur Eindämmung der Infektionen stark beeinträchtigt und in die tiefste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg geführt. Die schnellen politischen Reaktionen zur Bewältigung der Krise konnten eine unkontrollierte Ausbreitung des Coronavirus in Deutschland – im Gegensatz zu anderen Ländern – verhindern und waren zudem hilfreich, um die wirtschaftlichen Auswirkungen abzufedern. Dies umfasst neben Steuerstundungen und Kurzarbeit etwa die temporäre Mehrwertsteuersenkung, weil sie geeignet ist, die Realwirtschaft positiv zu beeinflussen.
Der deutsche Wohnimmobilienmarkt ist aufgrund von langjährig festgeschriebenen Zinsen, hohen Laufzeiten und hohen Eigenkapitalanforderungen von Stabilität gekennzeichnet. Dagegen sind Wirtschaftsimmobilien besonders anfällig für Konjunktureinbrüche und Unternehmensinsolvenzen. „Ein anhaltender Einbruch der Nachfrage bei den besonders betroffenen Wirtschaftsbereichen kann zu erheblichen Korrekturen bei Mieten und Preisen führen,“ sagt Prof. Dr. Dr. Lars P. Feld von der Universität Freiburg, der die gesamtwirtschaftliche Entwicklung analysiert hat. Beeinträchtigte oder ausbleibende Mieteinnahmen würden die Renditen der Investoren erheblich reduzieren – mit entsprechenden Auswirkungen auf Immobilienunternehmen, Banken und damit auch auf die Finanzstabilität. Demgegenüber könnte das Kündigungsmoratorium zu einer Problemverschleppung geführt haben. Weitere regulatorische Eingriffe in den Wohnungsmarkt schwächen das Vertrauen in Investitionen. Ein Mietenstopp würde Investitionen in einer Situation bremsen, in der sie am dringendsten gebraucht werden.
Hotellerie: Erholung erst bis 2024
Der Erhalt und die Stärkung urbaner Vielfalt stützt dabei auch die gebeutelte Hotellerie. Der Corona-bedingte Shutdown brachte den Tourismus in Deutschland fast vollständig zum Erliegen. Im ersten Halbjahr 2020 sanken die Übernachtungszahlen in Deutschland um rund 47 Prozent zum Vorjahr (Shutdown-Monate April und Mai: -89,3 Prozent beziehungsweise -74,9 Prozent). Trotz der schrittweisen Aufhebung der Reisebeschränkung und der damit einhergehenden erhöhten touristischen Nachfrage zeigte sich im Juni 2020 dennoch ein Übernachtungsminus in Höhe von 41,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der Tourismus in Deutschland wird frühestens 2022 wieder das Niveau von 2019 erreichen – mit einer Erholung ist wohl eher in den Jahren 2023/2024 zu rechnen. Die bestehenden staatlichen Maßnahmen werden kaum ausreichen, um einer Insolvenzwelle in der Hotellerie entgegenzuwirken, deren Ausmaß durch die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht verschleiert wird. Es bedarf allerdings faktischer Hilfe und keiner Kosmetik für Regulierung.
„Die Hotelbranche steht in den kommenden Jahren vor der Herausforderung, die Auswirkungen der Corona-Krise in einem strukturellen Umbruch zu bewältigen. Um die hieraus resultierenden Folgen für den Arbeitsmarkt und die Volkswirtschaft abzufedern, sind intelligente staatliche Unterstützungen gefragt“, sagt Andreas Schulten, Generalbevollmächtigter der bulwiengesa AG, der im Herbstgutachten die Entwicklung der Büro-, Logistik-, Hotel und Pflegeimmobilien analysiert hat. Ohne massive Unterstützung und einer Verlängerung bereits existierender Hilfen werden sich die vergangenen Entwicklungen verstärken: Kleine mittelständische Hotelbetriebe mit geringen Liquiditätsreserven und veralteten Konzepten werden aufgeben, der Einfluss finanzstarker Hotelketten zunehmen. In wirtschaftlich schwächeren, ländlichen Räumen würden Betriebsschließungen zu hoher Arbeitslosigkeit und Gewerbesteuerverlusten führen. Auch würde die öffentliche Funktion, die die dortigen Betriebe mit ihrer Gastronomie und ihren Veranstaltungsfazilitäten erfüllen, verloren gehen.
Wohnimmobilienmarkt unbeeindruckt von Corona-Pandemie
„Der Wohnungsmarkt zeigt sich von der Corona-Pandemie und ihren Folgen bislang völlig unbeeindruckt. Die Mietausfälle sind vernachlässigbar“, stellt Prof. Harald Simons, Vorstand der empirica AG, fest. Die bisher vorherrschenden Trends der Mietentwicklung scheinen ungebrochen. Beim Wohnungsbau zeigt sich kein Einbruch, das Angebot wächst weiter. Ebenso steigen die Kaufpreise für Eigentumswohnungen sowie für Ein- und Zweifamilienhäuser insgesamt unbeeindruckt weiter an, zumal auch die Zinsen anhaltend niedrig sind. Bei Wohnimmobilien gibt es anders als bei Gewerbeimmobilien praktisch keinen Einbruch bei den Mietzahlungen. Weitere Regulierungen oder sonstige Eingriffe finden daher keinen Boden.
Die Erfahrungen während des Lockdowns können allerdings die Wohnlagepräferenzen beeinflussen. „Pendeldistanzen verlieren an Bedeutung bei abnehmender Präsenzpflicht aufgrund flexiblerer Arbeitsformen. Das Umland der Städte, aber auch ländliche Räume mit entsprechender Anbindung an wirtschaftsstarke Regionen können mittelfristig an Bedeutung gewinnen“, ergänzt Carolin Wandzik, Geschäftsführerin der GEWOS, die die Wohnungsmärkte in ländlichen Räumen untersucht hat.
Logistikimmobilien: Bedeutung sicherer Supply Chain steigt
Die Nachfrage bei Nutzern und Investoren im Segment der Logistikimmobilien ist weiterhin hoch und hat sich während der Krise sogar noch verstärkt. Das Investmentvolumen in Lager-, Logistik- und Unternehmensimmobilien lag im ersten Halbjahr mit knapp 3,9 Milliarden Euro 57 Prozent über dem Vorjahreszeitraum. „Weil eine sichere Supply Chain im Krisenfall wichtiger als eine kosteneffiziente Supply Chain erscheint, werden Logistikimmobilien auch in den nächsten Jahren stabile, resiliente Investments darstellen“, erklärt Schulten. Getrieben durch eine erhöhte Nachfrage wachsen die Spitzenmieten vielerorts unverändert. Zukünftig werden dabei auch mehr Ansiedlungsentscheidungen zugunsten peripherer Lagen fallen.
Büromarkt auf Richtungssuche
Im ersten Halbjahr 2020 wurden mit 1,13 Millionen Quadratmetern umgesetzter Bürofläche lediglich 66 Prozent des Vorjahresniveaus erreicht, da Anmietungsentscheidungen vorerst eingestellt beziehungsweise deutlich in die Zukunft verschoben wurden. Die Fundamentalkennzahlen sind jedoch weiterhin positiv – auch aufgrund der Ausgangssituation: Vor allem in den Metropolen stand eine vitale Nachfrage einem limitierten Angebot gegenüber. Erhebungen und Diskussionsbeiträge zum Homeoffice-Trend gehen derzeit davon aus, dass gegenüber dem durchschnittlichen Büroflächenbedarf von 2019 rund zehn Prozent weniger Büroflächen benötigt werden. Für den deutschen Büroimmobilienmarkt war bisher aber entscheidender, wie stark die Bürobeschäftigung zu- oder abnahm. In den A-Städten sank die Bürofläche pro Kopf von 2006 bis 2019 von 27 auf zuletzt 25 Quadratmeter, gleichzeitig stieg die Zahl der Bürobeschäftigten um rund zwei Millionen in Deutschland. „Diesem Effekt ist eine größere Hebelwirkung für den Immobilienmarkt zuzuschreiben als etwa Details in der branchenabhängigen Arbeitsorganisation“, so Schulten.
Verstärkte Nachfrage bei Pflegeimmobilien
Als defensive und konjunkturunabhängige Immobilienanlage mit nachhaltigem Cashflow sind Seniorenimmobilien in der aktuell rezessiven Marktphase bei gleichzeitig hohen Marktliquidität verstärkt gefragt. So wurden im ersten Halbjahr 2020 auch rund 888 Millionen Euro umgesetzt. Dieser Nachfragedruck spiegelt sich auch in den Renditen: Die Spitzenrenditen für Pflegeheime liegen derzeit bei rund 4,3 Prozent und für Betreutes Wohnen bei 3,5 Prozent. Der in den kommenden Jahren stark wachsende Sektor für Seniorenwohnen und -pflege sollte hinsichtlich lokal verfügbarer Arbeitskapazitäten, Bedürfnissen auf Freiraum und Erdgeschossnutzungen rechtzeitig in die Stadtentwicklungspolitik und Baukultur eingebunden werden.
Foto: immonews.IN / Michael Stadik