Autoindustrie unter Druck

Corona-Pandemie: Analysen zum Pkw-Markt und zur deutschen Konjunktur

Das Audi museum mobile (rundes Gebäude, rechts), das Bürogebäude Markt und Kunde (Dreieckbau, links) und das Kundencenter (Hangar in der Mitte)
Das Audi museum mobile (rundes Gebäude, rechts), das Bürogebäude Markt und Kunde (Dreieckbau, links) und das Kundencenter (Hangar in der Mitte)

Die Corona-Pandemie setzt die Autoindustrie unter Druck. Die Kurzarbeit bei Audi etwa wird bis zum 26. April 2020 verlängert. Dazu aktuelle Expertenanalysen.

„Aufgrund der anhaltenden schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, bedingt durch die Ausbreitung des Coronavirus, verlängert Audi in Abstimmung mit dem Betriebsrat die Kurzarbeit in Ingolstadt vorerst um zwei Wochen bis zum 26. April 2020“, so eine Mitteilung, die immonews.IN, dem Nachrichtendienst für Immobilienpreise und Mieten in Ingolstadt und Region, vorliegt. Nachfragerückgänge und Engpässe in der Lieferkette führen demnach weiterhin in verschiedenen direkten und indirekten Bereichen des Unternehmens zu Arbeitsausfällen.

Die Verlängerung gilt für die Bereiche, die seit dem 6. April in Kurzarbeit sind. In Neckarsulm wurde die Kurzarbeit in der vergangenen Woche vorerst bis zum 19. April verlängert. Inwieweit darüber hinaus Arbeitsausfälle an den Standorten vorliegen, prüft das Unternehmen derzeit in Abstimmung mit dem Betriebsrat. Entsprechende Maßnahmen werden gegebenenfalls auch kurzfristig eingeleitet und kommuniziert.

Staatliches Eingreifen nötig

Die Corona-Pandemie erfasst die Automobilindustrie stärker als erwartet. Zu diesem alarmierenden Ergebnis kommt eine aktuelle Branchenanalyse der internationalen Unternehmensberatung Bain & Company. Der weltweite Pkw-Markt bricht demnach 2020 im wahrscheinlichsten Szenario um 29 Prozent ein, wenn keine staatlichen Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. Überdurchschnittlich stark betroffen sind Europa und Nordamerika, während China den Höhepunkt der Krise zunächst hinter sich hat und derzeit eine zweite Ausbruchswelle zu verhindern versucht. In diesem Szenario könnte die Autoindustrie 2020 im Schnitt um bis zu 90 Prozent an Profitabilität einbüßen. Dazu kommen noch die erforderlichen Mittel für das erwartete höhere Rabattniveau nach der Lockdown-Phase.

„Die Automobilbranche steckt in ihrer wahrscheinlich schwersten Krise überhaupt“, betont Dr. Klaus Stricker, Bain-Partner und Co-Leiter der globalen Praxisgruppe Automotive und Mobilität, in einer Pressemitteilung. „Die Regierungen sollten diese Schlüsselindustrie in Deutschland und Europa umfassend unterstützen, um die Liquidität der Unternehmen zu sichern – insbesondere im Zuliefer- und Händlerbereich.“ Darüber hinaus braucht es staatliches Eingreifen, um den Markt kurzfristig zu stimulieren und mittelfristig erforderliche Strukturinvestitionen wie den Ausbau der Ladeinfrastruktur zu fördern.

Die durch Covid-19 ausgelöste Rezession wird der Bain-Analyse zufolge mindestens so stark sein wie diejenige im Zuge der Finanzkrise 2008/2009. Doch wie wirkt sich dieser weltweite Konjunktureinbruch auf die Autoindustrie aus? Unter den vier möglichen Szenarien „Quick Rebound“, „Short Setback“, „Prolonged Slowdown“ und „Deep Recession“ scheint aktuell die dritte Variante die wahrscheinlichste. Demnach würde der Markt nach zwei Quartalen langsam wieder zurückkehren, wäre jedoch von einer anhaltend hohen Unsicherheit geprägt. Ohne staatliche Gegenmaßnahmen hieße das: Die Automobilhersteller würden weltweit 2020 statt der erwarteten 90 Millionen Pkw nur 64 Millionen verkaufen – ein Minus von 29 Prozent. Die Absatzzahlen würden bis April um bis zu zwei Drittel zurückgehen und erst ab Mai allmählich wieder steigen (Abbildung). Zur Analyse des erwarteten Kundenverhaltens führt Bain regelmäßig eine Covid-19-Kundenumfrage in China sowie in den USA und Europa durch.

Der chinesische Automarkt zeigt erste Erholungstendenzen. Der Pkw-Absatz nimmt bereits seit März langsam wieder zu und wird im Gesamtjahr 2020 auf etwa 19 Millionen Stück kommen. Angesichts der vor der Krise prognostizierten 26 Millionen wäre dies ein Rückgang um rund ein Viertel. Deutlich stärker trifft die Corona-Rezession hingegen Europa. Mit 11 Millionen verkauften Pkw wird für 2020 ein Minus von 30 Prozent erwartet. Noch heftiger trifft es Nordamerika. Dort dürfte der Aufwärtstrend für das laufende Jahr erst im Frühsommer einsetzen. Gerechnet wird mit einem Absatz von 13 Millionen Fahrzeugen, was bei ursprünglich für 2020 prognostizierten rund 20 Millionen einer Verringerung von fast einem Drittel entspräche.

Die Bain-Analyse zeigt drei strategische Handlungsfelder auf, die Automobilhersteller und Zulieferer angesichts der Corona-Krise angehen müssen:

  • Mitarbeiter schützen, Cashflow sichern und Neustart vorbereiten. An erster Stelle steht die Sicherheit der Belegschaft. Ein striktes Cash-Management sieht unter anderem den Einsatz flächendeckender Kurzarbeit vor. Die Verschiebung von Fahrzeugprojekten ist zu prüfen. Zudem gilt es, verstärkt Kaufanreize für Kunden zu schaffen und das Händlernetz zu stabilisieren.
  • Krise nutzen, um Strukturhürden zu überwinden. Die Komplexität im Unternehmen sollte drastisch reduziert werden. Das betrifft beispielsweise Modellvarianten, Antriebe und Ausstattungen. Das Investitionsportfolio gehört auf den Prüfstand, Effizienzprogramme müssen weiter beschleunigt und intensiviert werden. Ebenso müssen der Onlineabsatz ausgebaut und das Vertriebsnetz optimiert werden.
  • Strategische Weichen stellen, um gestärkt aus der Krise zu kommen. Gut positionierte und stabil finanzierte Unternehmen haben in der Krise die Chance, neue Profitpools zu erschließen. So können sie – etwa durch gezielte Übernahmen – wichtige Zukunftskompetenzen aufbauen. Diese umfassen unter anderem die Bereiche E-Mobilität, Konnektivität und digitale Dienste oder autonomes Fahren.

„Trotz der hohen Anforderungen, Einsparungen zu realisieren, darf die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen nicht auf der Strecke bleiben“, stellt Bain-Experte Stricker fest. Mehr denn je müssen die Mittel für Forschung und Entwicklung sowie für Investitionen in Einklang mit der Unternehmensstrategie eingesetzt werden. So werden künftige Schlüsselbereiche ausreichend ausgestattet, während an anderen Stellen konsequent gespart wird. Darüber hinaus müssen sich Automobil- und Mobilitätsunternehmen auch auf bleibende Veränderungen im Kundenverhalten – also auf eine neue Normalität – einstellen. Durch im Lockdown erprobte Alternativen könnten beispielsweise in Zukunft persönliche Treffen durch Videokonferenzen ersetzt und damit Geschäftsreisen reduziert werden.

„Neben dem akuten Krisenmanagement sollten die Automobilhersteller den Markteinbruch auch nutzen, um strukturelle Wachstumshindernisse zu beseitigen“, resümiert Ralf Kalmbach, Bain-Partner und Co-Leiter der globalen Praxisgruppe Automotive und Mobilität. „Unternehmen, die gestärkt aus der Krise kommen wollen, leiten jetzt die strategischen Veränderungen ein, mit denen sie sich nachhaltig vom Wettbewerb absetzen können.“

ifo Geschäftsklimaindex bricht ein

Die Stimmung in den deutschen Unternehmen hat sich unterdessen außerordentlich verschlechtert. Der ifo Geschäftsklimaindex ist laut einer Pressemitteilung im März auf 86,1 Punkte eingebrochen, nach 96,0 Punkten (saisonbereinigt korrigiert) im Februar. Dies ist der stärkste jemals gemessene Rückgang im wiedervereinigten Deutschland und der niedrigste Wert seit Juli 2009. Insbesondere die Erwartungen der Unternehmen verdüsterten sich wie nie zuvor. Auch die Einschätzungen zur aktuellen Lage sind deutlich gefallen. Die deutsche Wirtschaft steht unter Schock.

Der Geschäftsklimaindex ist im Vergleich zur vorläufigen Veröffentlichung vom 19.3., als er bei 87,7 Punkten lag, nochmals um 1,6 Punkte gesunken. Die Lagebeurteilungen sanken seitdem um 0,8 Punkte, die Erwartungen um 2,3 Punkte.

Im Verarbeitenden Gewerbe ist der Index auf den niedrigsten Stand seit August 2009 gefallen. Einen stärkeren Rückgang gab es im wiedervereinigten Deutschland noch nie. Der Rückgang der Erwartungen ist mit Blick auf 70 Jahre Umfragen in der Industrie historisch einmalig. Der Indikator der aktuellen Lage sank weniger stark. In allen Industriezweigen ist der Index gefallen, teilweise recht deutlich. Viele Unternehmen haben Produktionskürzungen angekündigt.

Im Dienstleistungssektor ist der Geschäftsklimaindikator so stark gefallen wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2005. Dies gilt sowohl für die Einschätzung der Geschäftslage als auch für die Erwartungen.

Im Handel ist der Geschäftsklimaindikator eingebrochen. Die Erwartungen stürzten auf den niedrigsten Wert seit der Wiedervereinigung. Auch die aktuelle Lage schätzten die Unternehmen merklich weniger gut ein. Groß- und Einzelhandel sind gleichermaßen stark negativ getroffen. Positive Ausnahmen sind Lebensmittel- und Drogeriemärkte.

Im Bauhauptgewerbe ist der Index vergleichsweise moderat gesunken. Die Bauunternehmen sind gegenwärtig mit ihrer aktuellen Lage noch sehr zufrieden. Der Ausblick hat sich jedoch deutlich verschlechtert.

Die Kurzarbeit in der deutschen Industrie wird bald drastisch steigen, so eine weitere Pressemitteilung: 25,6 Prozent aller Firmen erwarten in den kommenden drei Monaten Kurzarbeit. Das ist der höchste Stand seit 2010. Vor drei Monaten waren es erst 15,3 Prozent. Das geht aus der neuesten Konjunkturumfrage des ifo Instituts hervor. Überdurchschnittlich betroffen sind die Schlüsselbranchen Automobile (41 Prozent), Maschinenbau (33 Prozent) und Elektro (32 Prozent).

Kleinere Branchen, die auch stark von Kurzarbeit betroffen sein werden, sind die Metallerzeugung und -bearbeitung mit 49 Prozent, der sonstige Fahrzeugbau mit 43 Prozent, die Textilhersteller mit 41 Prozent, die Hersteller von Lederwaren und Schuhen mit 35 Prozent und die Hersteller von Metallerzeugnissen mit 27 Prozent.

Einige Branchen erwarten in den kommenden drei Monaten kaum Kurzarbeit: In der Chemie-Industrie waren es nur 14 Prozent und in der Ernährungsindustrie sechs Prozent.

„Das volle Ausmaß der Corona-Pandemie ist in all diesen Zahlen vermutlich noch nicht berücksichtigt, denn die meisten Antworten liefen ein bis Mitte März“, sagt Klaus Wohlrabe, Leiter der ifo-Konjunkturumfragen.

Bereits Kurzarbeit eingeführt haben der ifo Umfrage zufolge 9,3 Prozent der Industriefirmen. 15 Prozent der Hersteller elektrischer Ausrüstungen waren davon betroffen. Im Maschinenbau waren es 14 Prozent, in der Automobilindustrie 11 Prozent. Kleinere Branchen waren die Metallerzeugung und -bearbeitung sowie die Textilbranche mit 23 Prozent und Hersteller von Lederwaren und Schuhen mit 20 Prozent. Kein Thema war die Kurzarbeit bislang in der Chemie- bzw. der Ernährungsindustrie.

 

Foto: Audi AG