Die Deutsche Bundesbank sieht durch die steigenden Immobilienpreise in Deutschland noch keine unmittelbare Gefahr für die Finanzstabilität. Bei der Vorstellung des Finanzstabilitätsberichts 2016 wies Prof. Dr. Claudia M. Buch, Vizepräsidentin der Bundesbank, aber auch auf die konjunkturellen und wirtschaftspolitischen Risiken für Immobilienkäufer hin.
„Derzeit besteht mit Blick auf die Finanzmärkte die Gefahr, dass Marktteilnehmer sich in einem Zustand falscher Gewissheit befinden – und in Erwartung dauerhaft niedriger Zinsen und hoher Vermögenspreise zu große Risiken eingehen“, sagte Prof. Dr. Claudia M. Buch am heutigen 16. November in Frankfurt am Main, laut Redemanuskript. Die Vizepräsidentin der Deutschen Bundesbank führte bei der Vorstellung des Finanzstabilitätsberichts 2016 weiter aus: „In der Summe könnten Risiken systematisch unterschätzt werden; der Wert von Sicherheiten bei Kreditgeschäften könnte zu hoch angesetzt sein.“
Claudia M. Buch sagte weiter: „Die Überraschung ist dann umso größer, wenn das gegenteilige Ereignis eintritt. Auf den Finanzmärkten führen Überraschungen zu abrupten Preiskorrekturen – die Marktreaktion nach dem Brexit-Votum zeigt dies. Marktzinsen können sprunghaft steigen, und dies kann zu einem hohen Anpassungsbedarf mit möglichen negativen Folgen für die Realwirtschaft führen. Kredite für die Finanzierung von Wohnimmobilien machen nicht nur einen wesentlichen Anteil der Verschuldung privater Haushalte aus. Mit rund 50 % der Kredite an inländische Privatpersonen und Unternehmen haben sie auch eine wesentliche Bedeutung für die Banken. Gleichzeitig zeigen die internationalen Erfahrungen, dass kreditgetriebene Überbewertungen auf Immobilienmärkten – in Abhängigkeit der strukturellen Gegebenheiten in diesen Märkten – schon häufig Auslöser systemischer Finanzkrisen waren. Aus diesem Grund spielt der deutsche Markt für Wohnimmobilien eine besondere Rolle für unsere makroprudenzielle Überwachung.“
Wie entwickelt sich derzeit der Immobiliensektor in Deutschland? „In Deutschland sind die Preise für Wohnimmobilien in den vergangenen Jahren stark gestiegen, vor allem in den Ballungszentren“, so die Vizepräsidentin der Deutschen Bundesbank. Allein im ersten Halbjahr 2016 seien demnach die Preise für Wohneigentum um gut 5 % gestiegen, und damit stärker als das allgemeine Preisniveau mit +0,3 % im gleichen Zeitraum (Halbjahreswert, gemessen am Verbraucherpreisindex). Der Preisauftrieb war regional breiter als in den Jahren zuvor. Seit Beginn des Aufschwungs am Immobilienmarkt lagen laut Bundesbank die Immobilienpreissteigerungsraten in den (Groß-)Städten höher als in den restlichen Gebieten. Seit 2014 kann allerdings eine Verringerung der Differenz zwischen Land und Städten beobachtet werden.
Die Analyse der Deutschen Bundesbank weiter im Wortlaut: “Kredite für den privaten Wohnungsbau sind zuletzt (September 2016) mit einer jährlichen Wachstumsrate von 3,7 % gestiegen, und somit weniger stark als im Schnitt seit Anfang der 1980er Jahre mit knapp 5 %. Im Vergleich dazu sind die Einkommen der privaten Haushalte im Jahr 2015 um 3,1 % gestiegen – bzw. um 2,3 % im Durchschnitt der Jahre seit 1991. Der Abstand zum Anstieg der Einkommen der privaten Haushalte ist damit geringer geworden.
Hinsichtlich des letzten Indikators – der Entwicklung der Vergabestandards für Immobilienkredite – zeigt die vierteljährliche Umfrage des Eurosystems zur Kreditvergabepolitik der Geschäftsbanken, der “Bank Lending Survey”, eine leichte Verschärfung seit dem Jahr 2010. Allerdings vergeben die deutschen Banken einen zunehmenden Anteil ihrer Wohnungsbaukredite mit langen Laufzeiten. Das reduziert zwar während der Zinsbindungsfrist die Risiken aus möglichen Änderungen der Zinsen für die privaten Haushalte. Spiegelbildlich steigen aber die Zinsänderungsrisiken bei den Banken.
Wann sich die günstigen Bedingungen für die Kreditvergabe, nicht nur im Bereich der Immobilienfinanzierung, drehen, lässt sich nicht prognostizieren. Mit einem Zinsanstieg einhergehen würden ein Rückgang der Bewertungen und Preise auf den Finanzmärkten. Finanzierungen, die unter den aktuellen Rahmenbedingungen angemessen erscheinen, könnten sich dann als nicht nachhaltig herausstellen.
Gegen ein solches Szenario kann sich jeder einzelne Marktteilnehmer schützen – durch einen angemessenen Eigenmittelanteil in der Finanzierung und eine vorausschauende Vertragsgestaltung. Mit Blick auf die Finanzstabilität ist es aber auch notwendig, Risiken zu identifizieren, die das Finanzsystem als Ganzes betreffen. Diese Risiken sind für einzelne Banken oder Marktteilnehmer nicht immer sichtbar. Dies ist dann der Fall, wenn die Schieflage einzelner Marktteilnehmer aufgrund ihrer Größe das System insgesamt gefährdet (Too-big-to-fail) oder sich über starke Verflechtungen auf das gesamte System ausweitet (Too-interconnected-to-fail). Ein Risiko für die Finanzstabilität kann aber auch daraus erwachsen, dass mehrere Finanzinstitute ähnlichen makroökonomischen Risiken ausgesetzt sind (Too-many-to-fail).
Eine ausreichende Ausstattung mit Eigenkapital ist daher das Fundament des Finanzsystems, um Risiken abzufedern – wie bei einer Brücke, die eine bestimmte Last tragen kann, sofern sie aus stabilem Material gebaut ist. Gleichzeitig darf aber eine Brücke nicht zu starr sein, und sie muss durch Schwingungen hohe Belastungen ausgleichen können. So ist es auch aus Sicht der Finanzstabilität wichtig, die Widerstandsfähigkeit und Risikotragfähigkeit zu erhöhen und gleichzeitig auf Veränderungen reagieren zu können.”
Foto: Deutsche Bundesbank / Frank Rumpenhorst
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